Archiv der Kategorie: Barrierefreiheit in Deutschland

Gutenberg gerät unter stärkeren Beschuss

Während das internationale WordPress Accessibility Team noch am Bericht über die letzten Gutenberg Barrierefreiheits Test feilt, hat sich überraschend Schützenhilfe von anderer Stelle angekündigt. Die Vereinigung der akademischen WordPress-Benutzer WPCampus hat in einem Bolgartikel vom 24. Oktober einen Accessibility Audit für den neuen WordPress-Editor eingefordert, nachzulesen hier:

WPCampus Releases Gutenberg Accessibility Audit RFP

WPCampus legt den Focus auf die Einhaltung des Barrierefreiheit  Level AA nach WCAG 2.0, und weist ausdrücklich darauf hin, dass eine Nichteinhaltung dieses Standards nicht nur nachlässig, sondern in vielen Ländern, besonders in USA und der EU, auch ungesetzlich ist. Da das nächste WordPress-Release 5.0 bereits für Mitte November geplant ist, ist der Einreichungsschluss für den  Audit auf 7. November gesetzt.

Währenddessen arbeitet das WordPress Accessibility Team mit Hochdruck am neuesten Testbericht über Gutenbergs mehr oder minder vorhandene Barrierefreiheit. Dies war auch das führende Thema der letzten Teamkonferenz am 26.10.  Und es sieht duster aus, die kürzlich stattgefundenen Accessibility Tests haben zum Teil verheerende Resultate geliefert. Es wurde wegen des knappen Zeitplanes darauf verzichtet, im Testbericht alle aufgefundenen Probleme aufzuführen, stattdessen konzentriert man sich auf diese fünf Themengruppen:

  • Cognitive Load & Complexity (kognitive Belastung &Komplexität)
  • Inconsistent User Interface Behavior (Unberechenbares User Interface Verhalten)
  • Dependency on Accessibility Anti-Patterns (Abhängigkeit von Barrierefreheits Anti-Mustern)
  • Dependency on Keyboard Shortcuts (Abhängigkeit von Tastaturkurzbefehlen)
  • Complex Keyboard Navigation Using Standard Methods (Hochkomplexe Tastaturnavigation mit Standardmitteln)

Der Bericht soll am nächsten Montag, den 29.10. 2018 veröffentlicht werden. Man darf gespannt sein, ob er die WordPress-Verantwortlichen zum Umdenken in Sachen Gutenberg bringt.

 

Bald 100.000 Besucher in meinem Inselfisch-Kochbuch

Wie einigen von ihnen vielleicht bekannt ist, betreibe ich seit einigen Jahren auf meiner privaten Webseite evileu.de ein barrierefreies Kochbuch, das Inselfisch-Kochbuch. Es ist ein WordPress-Blog mit mittlerweile über 300 Kochrezepten aus Bayern und aus aller Welt.

Das Inselfisch-Kochbuch

Das Kochbuch erfreut sich besonders seit der barrierefreien Umgestaltung Anfang letzten Jahres steigender Beliebtheit, und das ganz besonders bei Besuchern mit Handicap. Ich habe schon vielfache Rückmeldungen von sehgeschädigten oder anderweitig gehandicappeden Besuchern bekommen, dass das Inselfisch-Kochbuch auch mit einem Screenreader oder einer Braillezeile einwandfrei zu bedienen ist, und dass meine Rezepte leicht nachzukochen und gelingsicher sind.

Ich habe gerade meine Statistiken für diesen Monat ausgewertet: im Inselfisch-Kochbuch waren von Anfang 2017 bis heute mittlerweile 93.253 Besucher. Das ist für eine kleine, im ein-Frau-Betrieb geführte Webseite eine stolze Zahl, und ich freue mich sehr darüber. Die barrierefreie Umgestaltung das Inselfisch-Kochbuchs war eine Heidenarbeit, aber sie hat sich auf jeden Fall gelohnt!

BIK: BITV-Tests und WCAG 2.0 unter einem Dach

Quelle: http://www.bitvtest.de

Seit Ende letzten Jahres ist der überarbeitete BITV-Test verfügbar. Laut BIK wird jetzt auch die Konformität der Stufe AA nach den Richtlinien des WCAG 2.0 geprüft. Der Unterschied besteht lediglich in der Auswertung. Das BITV-Prüfverfahren vegibt nach wie vor eine graduelle Bewertung der Konformität in Prozent. Der Test nach WCAG wird nur nach “ist konform” oder “ist nicht konform” ausgewertet.

Besonders interessant für kleine und mittlere Unternehmen dürfte immer noch der kostenlos angebotene Selbstbewertungstest sein, der nach wie vor ein wertvolles Hilfsmittel zur Beurteilung des erreichten Grades der Barrierefreiheit der eigenen Webseite darstellt. Hier gehts zur Demoversion

Leider gilt aber nach wie vor: das Ergebnis des kostenlosen Selbsttests darf nicht veröffentlicht werden, es ist nur für den internen Gebrauch. Der abschließende kostenpflichtige BITV-Endtest kostet nach wie vor ab 1260 €, das wird für die meisten kleineren Betriebe dann doch nicht in Frage kommen. Hier wäre eine preiswertere Version nach wie vor sehr wünschenswert!

Barrierefreier Videoplayer der Aktion Mensch

Quelle: https://www.heise.de/ix/meldung/Aktion-Mensch-praesentiert-barrierefreien-Videoplayer-fuer-alles-und-alle-3921978.html

Die Aktion Mensch hat einen barrierefreien Videoplayer entwickelt, mit dem es möglich ist, auf der eigenen Internetseite unkompliziert barrierefreie Videos für alle einzustellen. Der Player ist auf dieser Seite der Aktion Mensch zum Download verfügbar.

Der Player ermöglicht es, zusätzlich zum eigentlichen Video eine Audiodeskription, Untertitel und Gebärdensprache anzubieten. Sehr interessant zu diesem Thema ist auch der hier verlinkte Artikel mit Tipps zur Erstellung barrierefreier Videos.

Inklusion am Arbeitsplatz: 100.000 zahlen lieber

Quelle: VDK-Zeitung Dezember 2017/Januar 2018

In Deutschland ist nach dem geltenden Arbeitsrecht eine 5%-Quote für die Beschäftigung schwerbehinderter Arbeitnehmer in Kraft, diese gilt für Unternehmen ab 20 Beschäftigten. Das heißt im Klartext: Betriebe mit 20- 39 Mitarbeitern müssen mindestens einen schwerbehinderten Arbeitnehmer beschäftigen, bis 59 Mitarbeiter zwei. Näheres hierzu in diesem sehr informativen Artikel bei internetratgeber-recht.de

Aber viele Arbeitgeber erfüllen diese Beschäftigungsquote nicht, sie zahlen stattdessen die Ausgleichsabgabe. Laut VDK-Zeitung sind dies immerhin fast 100.000 von den insgesamt ca. 156.000 deutschen Arbeitgebern, die zur Beschäftigung Behinderter verpflichtet wären. Das sind fast zwei Drittel! Eine traurige Mehrheit.  Es gibt noch viel zu tun in Deutschland, wenn es um die Inklusion am Arbeitsplatz geht!

Die Liste 90+ – nur wer zahlt, ist drin

Was ist die Liste 90+?

Eine von der Initiative BIK veröffentlichte Liste barrierefreier Webangebote und Agenturen für barrierefreies Webdesign.

Was ist BIK?

Ich zitiere:

BIK – barrierefrei informieren und kommunizieren – ist eine vom Bundesministerium für Arbeit und Soziales geförderte Projektreihe, um Intranet- und Internetangebote besser zugänglich zu machen und damit die Arbeitsplatzchancen behinderter Menschen zu verbessern.

Mehr können sie hier nachlesen: Über BIK

Wie kommt man in die Liste 90+?

Das habe ich mich auch gefragt, und das BIK mal angeschrieben, wegen meines barrierefreien Online-Kochbuchs. Ich bekam die Auskunft, daß in die Liste nur Webseiten aufgenommen werden, die den vom BIK angebotenen kostenpflichtigen BITV-Test mit mehr als 90 Punkten bestanden haben. Ich zitiere über den BITV-Test:

Der BITV-Test ist ein Prüfverfahren für die umfassende und zuverlässige Prüfung der Barrierefreiheit von informationsorientierten Webangeboten.

Grundlage für den BITV-Test ist die Barrierefreie Informationstechnik-Verordnung (BITV). Der Test umfasst insgesamt 49 Prüfschritte. Zu jedem Prüfschritt gibt es ausführliche Erläuterungen, die sagen, was genau geprüft wird, warum das wichtig ist und wie in der Prüfung vorzugehen ist. Das Prüfverfahren ist im Detail offengelegt.

Die Bewertung erfolgt nach einem Punktesystem, insgesamt können maximal 100 Punkte erreicht werden. Ab 90 Punkten wird ein Webauftritt als “gut zugänglich” bewertet, ab 95 Punkten als “sehr gut zugänglich”.

Das ist alles recht und schön, aber was kostet mich der Test?

Schlappe 1134 € mindestens, hier gehts zur Preisliste. Das ist ganz schön happig, und für mich als Einzelkämpferin und Privatperson völlig indiskutabel.

Es gibt zwar noch die kostenfreie Version, den BITV-Selbsttest, aber es ist explizit nicht gestattet, die Ergebnisse diese Tests zu veröffentlichen, damit ist das Ganze reine Makulatur.

Ich kann mir die Liste 90+ nicht leisten – und sie?

Kein Einzelunternehmer, keine kleinere Firma hat locker das Budget, mal kurz über 1000 € abzudrücken, um in die Liste 90 + aufgenommen zu werden. Das ist in meinen Augen Geldschneiderei, schließlich werden sowohl die Liste 90+ als auch der kostenpflichtige Test von der selben Institution BIK angeboten, die wirtschaften sich da sauber in die eigene Tasche.

Nicht nur Geldschneiderei, sondern kontraproduktiv

Wer als Privatanwender oder kleine Firma wie ich nicht geringe Zeit und Mühe aufgewendet hat um seine Webseiten barrierefrei zu gestalten, wird hier “abgewatscht”, wie wir in Bayern sagen. Die hohen Kosten verhindern effektiv eine Aufnahme privater und kleinerer Webseiten in die Liste 90+, und das kann doch nicht im Sinne des Erfinders sein. Was nützt die schönste barrierefreie Webseite, wenn sie bei der Zielgruppe, den Internetnutzern mit Handicap, nicht bekannt wird?

Ich würde es ja einsehen, wenn das BIK für Privatanwender und kleine Firmen eine preiswertere Version des Tests anbieten würde, oder alternativ die Veröffentlichung der Selbsttest-Ergebnisse gestatten würde. So wie es jetzt ist nutzt die Liste 90+ nur dem BIK und bringt Geld in die Kasse.

Auch kleinere Agenturen bleiben aussen vor

Wenn man wie ich als Kleinunternehmer oder Freelancer in die Liste der empfohlenen Web-Agenturen für barrierefreies Design aufgenommen werden möchte, gilt Ähnliches: man muß wenigstens 1 Projekt vorweisen, das den kostenpflichtigen Test bestanden hat. Die überwiegende Mehrzahl meiner Kunden kann und will die über 1000 € für den BITV-Test nicht aufbringen, damit bleibe ich als Einzelunternehmerin auch aus der Liste 90+ der empfohlenen Webagenturen draussen. Das ist Wettbewerbsverzerrung und schlicht unfair, wer nicht zahlen kann bleibt hier ebenfalls ausgeschlossen.

Wie könnte man es besser machen?

Ich würde dem BIK dringend raten, hier noch einmal neu zu Denken und Nachzubessern. Wie wäre es, wenn man eine Abnahme des Selbsttests gegen eine faire Gebühr einführen würde? Den Test würden ja dann die Webseitenbetreiber selbst durchführen, das BIK müßte nur nochmal drüberschauen und seinen Segen dazu geben. So wäre allen geholfen, und in die Liste 90+ kämen auch Webangebote mit kleinem Budget.

Damit wäre die dringend notwendige Chancengleichheit hergestellt, und das Angebot von barrierefreien Webseiten für Benutzer mit Handicap würde um ein Vielfaches reicher. Das nützte allen etwas, und wäre eine saubere Lösung.

Denn so wie es jetzt ist, ist die Liste 90+ nur etwas für zahlungskräftige Webseitenbetreiber und Agenturen, und das ist in meinen Augen ein kapitaler Mißstand, der im Interesse der Betroffenen behoben werden sollte. Das nützte sowohl den kleineren Anbietern als auch den Benutzern mit Handicap, und darum sollte es bei diesem Thema ja eigentlich gehen, oder nicht?