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Die Liste 90+ – nur wer zahlt, ist drin

Was ist die Liste 90+?

Eine von der Initiative BIK veröffentlichte Liste barrierefreier Webangebote und Agenturen für barrierefreies Webdesign.

Was ist BIK?

Ich zitiere:

BIK – barrierefrei informieren und kommunizieren – ist eine vom Bundesministerium für Arbeit und Soziales geförderte Projektreihe, um Intranet- und Internetangebote besser zugänglich zu machen und damit die Arbeitsplatzchancen behinderter Menschen zu verbessern.

Mehr können sie hier nachlesen: Über BIK

Wie kommt man in die Liste 90+?

Das habe ich mich auch gefragt, und das BIK mal angeschrieben, wegen meines barrierefreien Online-Kochbuchs. Ich bekam die Auskunft, daß in die Liste nur Webseiten aufgenommen werden, die den vom BIK angebotenen kostenpflichtigen BITV-Test mit mehr als 90 Punkten bestanden haben. Ich zitiere über den BITV-Test:

Der BITV-Test ist ein Prüfverfahren für die umfassende und zuverlässige Prüfung der Barrierefreiheit von informationsorientierten Webangeboten.

Grundlage für den BITV-Test ist die Barrierefreie Informationstechnik-Verordnung (BITV). Der Test umfasst insgesamt 49 Prüfschritte. Zu jedem Prüfschritt gibt es ausführliche Erläuterungen, die sagen, was genau geprüft wird, warum das wichtig ist und wie in der Prüfung vorzugehen ist. Das Prüfverfahren ist im Detail offengelegt.

Die Bewertung erfolgt nach einem Punktesystem, insgesamt können maximal 100 Punkte erreicht werden. Ab 90 Punkten wird ein Webauftritt als “gut zugänglich” bewertet, ab 95 Punkten als “sehr gut zugänglich”.

Das ist alles recht und schön, aber was kostet mich der Test?

Schlappe 1134 € mindestens, hier gehts zur Preisliste. Das ist ganz schön happig, und für mich als Einzelkämpferin und Privatperson völlig indiskutabel.

Es gibt zwar noch die kostenfreie Version, den BITV-Selbsttest, aber es ist explizit nicht gestattet, die Ergebnisse diese Tests zu veröffentlichen, damit ist das Ganze reine Makulatur.

Ich kann mir die Liste 90+ nicht leisten – und sie?

Kein Einzelunternehmer, keine kleinere Firma hat locker das Budget, mal kurz über 1000 € abzudrücken, um in die Liste 90 + aufgenommen zu werden. Das ist in meinen Augen Geldschneiderei, schließlich werden sowohl die Liste 90+ als auch der kostenpflichtige Test von der selben Institution BIK angeboten, die wirtschaften sich da sauber in die eigene Tasche.

Nicht nur Geldschneiderei, sondern kontraproduktiv

Wer als Privatanwender oder kleine Firma wie ich nicht geringe Zeit und Mühe aufgewendet hat um seine Webseiten barrierefrei zu gestalten, wird hier “abgewatscht”, wie wir in Bayern sagen. Die hohen Kosten verhindern effektiv eine Aufnahme privater und kleinerer Webseiten in die Liste 90+, und das kann doch nicht im Sinne des Erfinders sein. Was nützt die schönste barrierefreie Webseite, wenn sie bei der Zielgruppe, den Internetnutzern mit Handicap, nicht bekannt wird?

Ich würde es ja einsehen, wenn das BIK für Privatanwender und kleine Firmen eine preiswertere Version des Tests anbieten würde, oder alternativ die Veröffentlichung der Selbsttest-Ergebnisse gestatten würde. So wie es jetzt ist nutzt die Liste 90+ nur dem BIK und bringt Geld in die Kasse.

Auch kleinere Agenturen bleiben aussen vor

Wenn man wie ich als Kleinunternehmer oder Freelancer in die Liste der empfohlenen Web-Agenturen für barrierefreies Design aufgenommen werden möchte, gilt Ähnliches: man muß wenigstens 1 Projekt vorweisen, das den kostenpflichtigen Test bestanden hat. Die überwiegende Mehrzahl meiner Kunden kann und will die über 1000 € für den BITV-Test nicht aufbringen, damit bleibe ich als Einzelunternehmerin auch aus der Liste 90+ der empfohlenen Webagenturen draussen. Das ist Wettbewerbsverzerrung und schlicht unfair, wer nicht zahlen kann bleibt hier ebenfalls ausgeschlossen.

Wie könnte man es besser machen?

Ich würde dem BIK dringend raten, hier noch einmal neu zu Denken und Nachzubessern. Wie wäre es, wenn man eine Abnahme des Selbsttests gegen eine faire Gebühr einführen würde? Den Test würden ja dann die Webseitenbetreiber selbst durchführen, das BIK müßte nur nochmal drüberschauen und seinen Segen dazu geben. So wäre allen geholfen, und in die Liste 90+ kämen auch Webangebote mit kleinem Budget.

Damit wäre die dringend notwendige Chancengleichheit hergestellt, und das Angebot von barrierefreien Webseiten für Benutzer mit Handicap würde um ein Vielfaches reicher. Das nützte allen etwas, und wäre eine saubere Lösung.

Denn so wie es jetzt ist, ist die Liste 90+ nur etwas für zahlungskräftige Webseitenbetreiber und Agenturen, und das ist in meinen Augen ein kapitaler Mißstand, der im Interesse der Betroffenen behoben werden sollte. Das nützte sowohl den kleineren Anbietern als auch den Benutzern mit Handicap, und darum sollte es bei diesem Thema ja eigentlich gehen, oder nicht?

Bahnbrechendes Urteil in den USA: Recht auf barrierefreies Online-Shoppen

Am 13. Juni 2017 ist in Florida, USA ein spektakuläres Urteil in Sachen Barrierefreiheit gefällt worden, das sehr wahrscheinlich Konsequenzen für eine riesige Zahl von Online-Shops in Amerika haben wird.

Richter Robert Scola entschied für Mr. Gil im Fall Juan Carlos Gil gg. Winn-Dixie Stores, Inc. (case no. 16-23020). Er sah es als erwiesen an, dass die Winn-Dixie Lebensmittelkette gegen die ADA (Americans with Disabilities Act) verstieß.

Es ging dabei nicht um die Ladenkette, sondern um den Online-Shop von Winn-Dixie. Mr. Gil ist blind und auf einen Screenreader angewiesen. Allerdings war sein JAWS screen reader tool nicht in der Lage, bestimmte Features auf der Webseite von Winn-Dixie anzusteuern, er berichtete dass er 90% der Tabs auf der Seite noch nicht einmal öffnen konnte. Während des Gerichtsverfahrens wurde dies von Experten nachvollzogen, diese bestätigten die Nicht-Zugänglichkeit der Website.

Winn-Dixie wurde dazu verurteilt, innerhalb einer Frist von 3 Jahren ihre Webseite barrierefrei zu gestalten. Sie müssen keine Strafe an Mr. Gil zahlen, aber die Kosten für den Umbau werden auf über 250.000 $ geschätzt.

Mr. Gil hat in 70 Fällen Rechtsmittel wegen des Verstosses gegen die ADA eingelegt. Dies könnte der Beginn einer Welle von ADA-Klagen gegen Webseitenbetreiber sein, mit einer grossen Wahrscheinlichkeit für die Betroffenen, die Klagen auch zu gewinnen.

Quelle (Übersetzung und Zusammenfassung) des Artikels von wpmudev.org

Is Your Website Accessible? If Not, You Could Be Violating the ADA